Gesundheitssystem
Den nationalen juristischen und finanziellen Rahmen für die Ausübung der Heilkunde stellt das jeweilige Gesundheitssystem eines Staates dar. Während des Mittelalters leisteten Kirchen und Kommunen mit Hospitälern und angestellten Ärzten eine rudimentäre Form der Krankenfürsorge.
Nach dem Aufkommen der mächtigen Nationalstaaten zogen diese zunächst die Kontrolle und Aufsicht über die Heilberufe an sich, verabschiedeten Approbationsordnungen undGebührenordnungen. Preußen schaffte 1852 die überkommene Trennung des Ärztestandes zwischen Chirurgen und Ärzten ab und schloss die Chirurgenschulen. Auf Betreiben liberaler Kreise, zu denen auch Rudolph Virchow gehörte, erlaubte die erste Gewerbeordnung desdeutschen Reiches (1871) die Therapiefreiheit auch für nichtapprobierte Behandler, die mit dem bis heute gültigen Heilpraktikergesetz (1939) erhalten blieb.Unter der Kanzlerschaft Otto von Bismarcks gab sich Deutschland das weltweit erste allgemeine soziale Sicherungssystem, mit Einschluss einer gesetzlichen Krankenversicherung für alle Arbeitnehmer und deren Angehörigen, die heute 90 % der Bevölkerung umfasst. Die niedergelassenen Ärzte organisierten sich gegen die zunächst übermächtige Verwaltung (Hartmannbund, 1900) und setzten in Ärztestreiksdie heutige Selbstverwaltung durch, nach der die Kassenärzte für die Sicherstellung der ambulanten Krankenversorgung allein verantwortlich sind und dafür eine Gesamtvergütung erhalten (Notverordnung, 1931). Nach der Wiedervereinigung wurden auch die in der DDR üblichenAmbulatorien aufgelöst oder in Arztpraxen umgewandelt. Die Gesundheitsämter spielen außerhalb von Katastrophen keine Rolle in der Krankenversorgung. Die stationäre Medizin in Krankenhäusern blieb dagegen in überwiegend staatlicher Hand. Deutsche Krankenhäuser schließen Versorgungsverträge mit den Krankenkassen ab und erhalten zudem Investitionskostenzuschüsse aus Steuermitteln, haben also eine duale Finanzierung, die völlig von der kassenärztlichen Schiene getrennt ist. Zahlreiche Reformen der Gesundheitsgesetzgebung haben versucht, die damit drohende Doppelversorgung mit teurer Infrastruktur (etwa medizinische Großgeräte) zu verhindern. Andere Industriestaaten haben andere Lösungen erarbeitet. So gibt es entwickelte Nationen mit nationalen, steuerfinanzierten Gesundheitssystemen (so das National Health Service in Großbritannien) oder mit weitgehend unregulierten Anbietermärkten (so das Gesundheitssystem der Vereinigten Staaten). In anderen europäischen Staaten gibt es regulierte Märkte mit starkem öffentlichen Sektor; beispielsweise trägt im Gesundheitssystem Deutschlands die öffentliche Hand über die Gesetzliche Krankenversicherung und die staatlichen Klinikzuschüsse ca. 80 Prozent der gesamten Ausgaben zur Krankenbehandlung.
Mit der Zunahme der Ärzte und Kliniken, der verbesserten technischen Möglichkeiten, und des demographischen Wandels ging eine kontinuierliche Verteuerung des Gesundheitswesens einher, gegen die zahlreiche Gesundheitsreformen eingesetzt wurden. Diese legten nicht nur Leistungsumfang und Bezahlung fest, sondern regulierten in zunehmendem Maße auch die konkrete Leistungserbringung und Qualitätskontrolle. Über die so eingeführte Rationalisierung (Effizienzsteigerung), implizite und explizite Rationierung (Leistungsbegrenzung), und die erreichte Verteilungsgerechtigkeit debattiert die Gesellschaft intensiv.
Eine verbreitete Klassifikation der medizinischen Versorgung unterscheidet drei Sektoren:
- Die medizinische Grundversorgung (englisch primary care, „Hausarztmedizin“) wird von Arztpraxen, allgemeinen Krankenhausambulanzenund anderen öffentlichen ambulanten Einrichtungen getragen. Etwa 90 Prozent der akuten und chronischen Gesundheitsprobleme sollen auf dieser kostengünstigen und flächendeckenden Ebene behandelt werden.
- Die sekundäre Versorgung (englisch secondary care, Schwerpunktversorgung, „Facharztmedizin“) bilden niedergelassene und angestellte Fachärzte aller Richtungen sowie anderer Spezialisten, die auf Überweisung der Primärärzte tätig werden. Die Facharztbehandlung findet ambulant oder stationär (nach Aufnahme in einem Krankenhaus) statt. Innerhalb dieses Sektors werden Notaufnahmen, Intensivstationen, Operationssäle, Labor- und Röntgendiagnostik, Physikalische Therapie vorgehalten.
- Die tertiäre Versorgung (tertiary care, Maximalversorgung) beruht auf spezialisierten Kliniken und Zentren, die größere Regionen oder mehrere Städte mit besonders teuren und aufwendigen Leistungen versorgen, etwa Unfall- und Verbrennungskliniken, Krebszentren, Transplantationskliniken und neonatologische Zentren.
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